Wie kann kooperatives Miteinander mit Kindern gelingen?

Teil 1 Erzwungene Folgsamkeit versus Kooperation

Wir alle wünschen uns ein harmonisches, kooperatives Miteinander mit unseren Kindern. Niemand will ständige Machtkämpfe. Und ich denke, die allermeisten Eltern gehen mit der Haltung in ihre Elternschaft, dass ein Kind zu bekommen zum einen bedeutet, dass ein Lebewesen in unser Leben tritt, das unsere Versorgung und Unterstützung braucht, zum anderen aber auch, dass wir einen Menschen einladen, unser Leben mit uns zu teilen – einen Menschen, der nicht dazu da ist, unsere Vorstellungen zu erfüllen, sondern seinen eigenen Weg zu gehen. Diesbezüglich ist die Beziehung zu unseren Kindern vergleichbar mit einer Partnerschaft. Doch neben all den alltäglichen Anforderungen ist es manchmal gar nicht so einfach, das nicht aus den Augen zu verlieren.

Vor Kurzem habe ich auf Arte die Dokumentation Sind Kinder andere Wesen? von Anna Loll gesehen. Einige Ausschnitte daraus haben mich sehr beschäftigt und zu dieser Artikelreihe inspiriert.

In den Szenen beschreibt Michaeleen Doucleff, wie das alltägliche Zusammenleben mit ihrer kleinen Tochter zunehmend zu einem Machtkampf wurde, weil das Kind sich in alltäglichen Situationen immer öfter verweigerte. Um herauszufinden, wie andere Kulturen mit solchem sogenannten destruktiven Verhalten umgehen, besuchte sie verschiedene indigene Gemeinschaften. Dort stellte sie fest:

„Destruktives Verhalten wird in diesen indigenen Gemeinschaften einfach ignoriert. Eltern sagen dann: ‚Oh, er ist doch noch ein ganz kleines Kind.‘ Und wenn das Kind das hört, will es kein Baby sein. Es will respektiert werden und Teil der Gruppe sein. Das ist ein ziemlich effektiver Trick.“

Warum hat mich diese Aussage so sehr beschäftigt? Ich vermute, dass das beschriebene Vorgehen bezüglich „destruktivem“ Verhalten in den besagten indigenen Gemeinschaften aus einer aufrichtigen Haltung gegenüber dem Kind resultiert. Damit meine ich, dass die Eltern in dem Moment tatsächlich der Ansicht sind: „Das Kind ist noch zu jung dafür.“ Die Situationen, für die Michaeleen Doucleff diesen Trick anwendet, sind aber Situationen, wie das Anziehen der Schuhe, also Tätigkeiten, für die ihre Tochter zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr zu jung war und das war ihr auch bewusst. Dies auszudrücken entsprach also nicht ihrer aufrichtigen Haltung, sondern war tatsächlich schlicht ein Trick. Es hat aber einen Grund, wenn Kinder sich verweigern oder anderes „destruktives“ Verhalten zeigen und diesen Grund sollte man herausfinden, anstatt zu versuchen, sie auszutricksen.

Zudem besteht der uns empfohlene „effektive Trick“ darin, Scham gezielt einzusetzen, um das Kind zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Man versucht, das Kind zur „Kooperation“ zu zwingen: Das Kind „kooperiert“ dann, weil es Angst vor negativen Konsequenzen, in diesem Fall vor Ablehnung hat. Die Angst davor, aus unserer Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, ist eine unserer tiefsten Ängste, was darin begründet liegt, dass in frühen menschlichen Gemeinschaften das Überleben stark von der Zugehörigkeit zur Gruppe abhängig war. Wer ausgeschlossen wurde, hatte geringere Überlebenschancen. Auf den Punkt gebracht lautet die obige Empfehlung also, diese Angst einzusetzen, damit unser Kind sich die Schuhe anzieht. Möchten wir das wirklich? Folgsamkeit zu erzwingen, auch wenn man dies verdeckt tut, hat nichts mit Kooperation zu tun.

Was also ist Kooperation?

Ich empfinde es oft als aufschlussreich Zusammenhänge, die wir aus unseren Beziehungen zu anderen Erwachsenen kennen, auf das Zusammenleben mit Kindern zu übertragen. Denn oft behandeln wir Kinder weniger respektvoll als Erwachsene, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Aus diesem Grund habe ich mir einmal zwei ganz allgemeine Definitionen zu Kooperation angesehen.

ChatGPT sagt zum Beispiel:
Kooperation bedeutet, dass mehrere Personen oder Gruppen zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Dabei unterstützen sie sich gegenseitig, teilen Informationen oder Aufgaben und handeln so, dass alle Beteiligten davon profitieren. Sie erfordert Kommunikation, Respekt und die Bereitschaft, aufeinander einzugehen.

Dorsch Lexikon der Psychologie definiert Kooperation folgendermaßen:
… Für das Gelingen von Kooperation bedarf es Möglichkeiten der Zielabstimmung und des Informationsaustausches, wechselseitiger Kommunikationen und gegenseitiger Unterstützung, konstruktiver Problemdiskussionen und einer längeren Zeitperspektive, in der die Form der Kooperation erprobt wird und sich das Vertrauen in den jeweiligen Kooperationspartner entwickeln kann. Eine kooperative Situation setzt zudem ein gewisses Maß an Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der beteiligten Partner voraus. Die relative Autonomie der Akteure ist bedeutsam. …https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/kooperation

Was diese Definitionen sehr deutlich machen, ist: Kooperation ist niemals einseitig. Sie erfordert immer mindestens zwei Parteien, die aktiv mitwirken. Wir können nicht von unseren Kindern kooperatives Handeln erwarten, wenn wir selbst nicht bereit oder situationsbedingt in der Lage sind, unseren Teil der Zutaten beizutragen.

Klar wird außerdem, dass für ein kooperatives Miteinander mit unseren Kindern die Hauptzutaten oft fehlen:

  • ein gemeinsames Ziel und Möglichkeiten der Zielabstimmung
  • wechselseitige Kommunikation und konstruktive Problemdiskussion/ Respekt und die Bereitschaft, aufeinander einzugehen
  • relative Autonomie der Akteure

und manchmal fehlt sogar das

  • Vertrauen in den Kooperationspartner

Und wenn wir mal ehrlich sind, dann scheitert unser Kooperationsvorhaben doch meist schon am allerersten Punkt, oder? Ein gemeinsames Ziel und Möglichkeiten der Zielabstimmung.
Das ist zwar nicht besonders ungewöhnlich – unzählige Projekte scheitern, weil die beteiligten Personen irgendwann feststellen, dass sie gar nicht oder nicht mehr dasselbe Ziel verfolgen, nur im Zusammenleben mit Kindern, kommen wir oft nicht darauf, das hier schon die erste Schwierigkeit zu finden ist. Die Frage, die wir uns öfter stellen sollten, wäre also:

Haben wir überhaupt ein gemeinsames Ziel oder ist das eher unser alleiniges Ziel?
Denn auch ein Ziel, das wir als Elternteil anvisieren, weil es in unseren Augen für unsere Kinder oder uns als Familie insgesamt wichtig ist, wird dadurch noch nicht zu einem gemeinsamen Ziel.

Und falls wir ein gemeinsames Ziel ausgemacht haben, stellt sich weiterhin die Frage:

Sind wir uns sicher, dass unsere Vorstellungen darüber übereinstimmen?
Wir waren uns vielleicht einig, heute die Großeltern zu besuchen, aber wir haben nicht darüber gesprochen, dass wir einiges mit Oma und Opa zu bereden haben, sodass für spielen mit der Oma kaum Zeit bleiben wird.

Es liegt in unserer Verantwortung als Erwachsene uns in unsere Kinder hineinzuversetzen, alle wichtigen Informationen bereitzustellen, um unseren Kindern einen Überblick zu verschaffen und am Ende dieses Prozesses noch einmal die Frage in den Raum zu stellen, ob wir unter diesen Umständen immer noch ein gemeinsames Ziel haben.

Es ist wichtig, dass wir nicht versuchen, ihnen ein Ziel unterzujubeln, indem wir ihnen zum Beispiel verschweigen, dass wir, wenn wir am Nachmittag ihr Spiel besorgen gehen, wir bei der Gelegenheit auch noch den Lebensmitteleinkauf erledigen möchten.

Es spricht nichts dagegen, einen langen Einkaufstag schmackhafter zu machen, indem man noch ein Eis einplant. Aber es ist wichtig es auch so zu kommunizieren: „Das wird ein langer Einkauf, wahrscheinlich langweilig und anstrengend, aber wir könnten uns am Ende noch ein Eis gönnen.“ Und vielleicht muss es auch gar nicht am Ende sein, sondern vielleicht entscheiden wir einfach gemeinsam, wann wir Lust auf die Eis-Pause haben.

Wenn wir in diesem Prozess aber erkennen, dass wir gar kein gemeinsames Ziel haben, dann ist es Zeit, uns bewusst zu machen, dass das, was wir von unseren Kindern in solchen Situationen möchten, keine Kooperation ist, sondern Folgsamkeit oder zumindest das Zurückstellen ihrer Bedürfnisse und das macht einen großen Unterschied, in dem, wie wir mit einer Situation und dem Menschen, den wir eingeladen haben unser Leben mit uns zu teilen, in dem Moment umgehen werden. Denn, dann steht da kein bockiges Kind vor uns, das nicht kooperiert, sondern ein Mensch, von dem wir uns wünschen, dass er gerade seine eigenen Bedürfnisse für unsere Pläne zurückstellt.

Um unser kooperatives Miteinander zu verbessern, können wir die genannten Zutaten der Kooperation als Stellschrauben nutzen – sie zeigen uns, wo wir ansetzen können, um etwas zu verändern.

In den nächsten beiden Artikeln dieser Reihe möchte ich mich mit der Autonomie als Ansatzpunkt beschäftigen.

Und um die Dokumentation, aus der ich eingangs ein Negativbeispiel herangezogen habe, noch einmal in einem anderen Licht aufzugreifen: Michaleen Doucleff spricht dort an anderer Stelle ebenfalls von Autonomie als Zugang und macht deutlich, dass die Lebensrealität der Kinder dieser indigenen Gemeinschaften sich stark von der unserer unterscheidet:

„Das Kind ist weitgehend selbst für sich verantwortlich. Es hat viel Autonomie, und die Eltern beschränken sich darauf, minimal einzugreifen.“

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